Jacobsohnstraße / Pistoriusstraße / Seidenberger Straße

Pankow (Weissensee)

Rundgang durch’s Weißenseer Grün

 

Wo die Weisen Feierabend machen

Mit Hausbesorger Jens Heinemann ist der Fotograf in den dritten Stock der Seidenberger Straße 33 gestiegen. Von diesem Eckhaus müsste man den besten Blick über den Garten der in den Jahren 1927 – 29 gebauten Anlage haben. Nach der 1992 erfolgten Rückübertragung der 372 Wohnungen an die GeWoSüd wurde ab 1994 eine Dachaufstockung mit weiteren 87 Wohnungen geplant und realisiert. Einige Bäume, Büsche und Rasenflächen waren vorhanden. Spielplatzflächen für die neuen Wohnungen mussten nachgewiesen werden. Norbert Reinelt, damals Leiter der Technikabteilung der Genossenschaft, zog mit Gartenarchitekt Klaus Rehbein durch die Höfe und skizzierte mit Buntstiften, wo eine Rutsche, eine Schaukel oder ein Sandkasten passen würden.

 

Jens Heinemann öffnet das Hausflur-Fenster, der Fotograf lehnt sich heraus, drückt ab und staunt: nichts zu erkennen von den anderen Häusern, nur dichtes, sattes Grün der großen Bäume. „Das sind die Esskastanien“, sagt Heinemann, „drei Bäume davon haben wir hier“. Ob es Streit gäbe, wer die Kastanien ernten dürfe? „Nein“, sagt Heinemann, „dafür interessiert sich kaum jemand“. Er selbst habe es mal versucht, die Kastanien zu kochen, „die sind ja ziemlich mehlig“. In den Sommermonaten interessieren sich in den beiden jeweils etwa 4.500 Quadratmeter großen Höfen vor allem Insekten für die Kirschen, Äpfel und Pflaumen, die hier und dort wachsen.

 

Als die Dächer aufgestockt wurden, gab es durch den Abbruch der alten Dächer reichlich Bauschutt. Den nutzte Gartenarchitekt Klaus Rehbein 1997 zur Anlage von Spielhügeln in den Höfen. „Sonst haben wir wieder instandgesetzt, was es an Wegen und Rasenflächen vor den Bauarbeiten gab“, erinnert sich Rehbein, „auch die 7.000 Quadratmeter Vorgärten und Wege waren desolat“. Im Hof zwischen Seidenberger- und Jacobsohnstraße hatte Rehbein auf dem Spielhügel Findlinge so angeordnet und eingegraben, dass sie wie der Rückenpanzer eines eingerollten Drachens erscheinen. Vom Drachenrücken führt eine breite Edelstahlrutsche in den Sand. Kinder lieben diese Situation, rennen den kleinen Hügel immer wieder hinauf, um herunterrutschen zu können.

 

Noch gut genutzt werden die Wäscheleinen im Hof, hauptsächlich für Bettwäsche und Tücher. Vor allem Kinder und ältere Bewohner würden sich in den Anlagen aufhalten. Hin und wieder auch Hundehalter aus der Nachbarschaft, welche sich unter den Bäumen unbeobachtet fühlen und die Schilder mit der Bitte, die Hunde anzuleinen, ignorieren. Ob auch gegrillt werde? „Gegrillt werden soll ja nur beim Sommerfest“, meint der Hausbesorger. Zu DDR-Zeiten hatten die Bewohner viel selbst gegärtnert. Als die GeWoSüd die Anlagen wieder übernahm und mit der Pflege ein Gartenbauunternehmen beauftragte, war das vielen sehr recht und einige fürchteten um ihr Gartenhobby.

 

So gibt es heute Stellen und Ecken, die von Bewohnern mit viel Liebe und Ausdauer gepflegt werden. Eher korrekt gepflegt geht es im Norden des Hofes zu, wo einer der ältesten Bewohner die Beete rund um ein grün überdachtes Bänkchen pflegt: Eine Richtschnur markiert die neue Beetkante.

 

Pappeln prägen den Hof links, Kastanien den Hof rechts.

Verlässt man den Hof im Norden, um zum anderen Gebäudeteil über die Seidenberger Straße zu gelangen, passiert man eine eindrucksvolle, gut fünfzehn Meter hohe Brandwand,
die vollständig mit der fünfblättrigen Jungfernrebe bewachsen ist, einer wilden Weinart. Ein Biotop für Vögel und Insekten ist entstanden. Hausbesorger Heinemann fragt sich allerdings, was möglicherweise hinter den Blättern noch verborgen sein könnte?

 

Der Hof zwischen Seidenberger- und Pistoriusstraße wird durch eine Reihe von Pappeln geprägt. Auch hier wurde ein Hügel mit Rutsche angelegt. Neue Spielgeräte, Schaukeln und Wippen fallen auf. Man staunt über einen reich tragenden Pfirsichbaum. Wenige Bäume mussten in der Vergangenheit wegen Schädigungen entfernt werden. Die Aktion „Mein Baum“ soll auch in Weißensee für Baumpaten und neue Anpflanzungen sorgen. Erkennbare Patenarbeit wird bereits für die schmalen Beete zwischen Hauswand und Gehweg geleistet:

Hier wachsen südlich anmutende silberblättrige „Eselsohren“ und die gedrängten Rosetten des Hauswurz. Im Sommer blühen pinker Hibiskus und gelbe Heliopsis, zu Deutsch Sonnenauge.

An einer Stelle wird der Hof erkennbar besonders intensiv genutzt: Um einem dicken Baum ist eine Kette gelegt, an die eine filigrane Drahtbank angeschlossen ist, daneben ein Gartenstuhl und ein Tischchen. Der Rasen hier wurde weggetreten. Die Erde ist fest. An der Kette hängt auch ein Flaschenöffner. Das sieht nach gemütlichem Feierabend aus. „Dumme rennen, Kluge warten, Weise gehen in den Garten“, sagte der indische Schriftsteller und Nobelpreisträger Rabindranath Tagore.

Die Weisen in Weißensee haben ihren Platz gefunden.

 

(Mehr Infos und Bilder zur Grünanlage)

 

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